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Geschichte / Namibia
Nach 100 Jahren entschuldigt Deutschland sich für den Völkermord
an den Herero
Am 11.8.2004 jährte sich zum 100sten Mal die Schlacht am Waterberg,
in deren Verlauf und Folge etwa 60.000 Eingeborene getötet und damit
das Volk der Herero auf ein Viertel, vielleicht sogar ein Fünftel
reduziert wurde.
Erstmals nahm am Samstag, den 14. August 2004 am Waterberg
ein deutscher Minister an dem jährlichen Gedenken teil. Die
Süddeutsche Zeitung zitiert heute 3 wesentliche Sätze aus der
Rede von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die sie aus
diesem Anlass vor Ort hielt:
"Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen ´Vater unser`um
Vergebung unserer Schuld." "Die damaligen Gräueltaten waren
das, was heute als Völkermord bezeichnet würde." "Wir
Deutsche bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen
Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben."
Susanne Bittorf weist in ihrem Artikel zu Recht darauf hin, dass die Herero
mit einem Bevölkerungsanteil von 7 Prozent im heutigen Namibia eine
Minderheit und in der Regierung kaum vertreten sind. Unausgesprochen bleibt,
dass dieser Umstand die Entschädigungswünsche der Herero bisher
nicht zu einem Regierungsanliegen des von den Wambos dominierten Namibia
machte.
"Deutschland hat seit der Unabhängigkeit Namibias im Jahre
1990 500 Millionen Euro Entwicklungshilfe gezahlt. Wieczorek-Zeul sagte
weitere Mittel zu. So sollen 10 Millionen Euro in die Landreform
fließen, um Schwarzen den Einstieg in die von weißen Farmern
beherrschte Landwirtschaft zu ermöglichen."
Um den Hintergrund dieser Aussage zu ermessen, muss man sich vor Augen
führen dass die Herero vor der Inbesitznahme des von ihnen beanspruchten
Landes durch die deutschen Kolonisten und Farmer bereits tüchtige
und erfolgreiche Viehzüchter waren. Eine Herleitung des Wortes Herero
nimmt als ursprüngliche Bedeutung "Viehbesitzer" an [a].
Der Herero-Oberhäuptling Maharero siegelte 1884 eine Proklamation,
die
das Ziel hatte sein Land vor der sich abzeichnenden Kolonisation zu schützen
[b] mit einer Damarakuh [c]. Aus einem früheren ähnlichen Dokument,
das Gesine Krüger in ihrem in der Fußnote benannten Aufsatz
zitiert, geht der Herdenreichtum der Herero und damit natürlich auch
ihre Fähigkeit zu erfolreicher Viehzucht anschaulich hervor: "Wir
haben riesige Rinder- und Schafherden in unserem Besitz, und stoßen
während der trockenen Jahreszeit auf erhebliche Schwierigkeiten,
für diese ausreichend Wasser und Weideflächen zu beschaffen.
Wir haben daher kein freies Land zur Verfügung, zu dem wir irgendeiner
Nation Zutritt gewähren könnten [...]." [d]
Die folgenden Ausführungen zur Geschichte Namibias informieren auch
über die Vorgeschichte bis zum Aufstand. Sie sind meiner biographischen
Skizze zu meinem Großvater Emil Teuthorn entnommen, der von 1899
bis 1919 im damaligen Deutsch-Südwestafrika lebte.
Die Zeit vor 1884
Als am 1.5.1883 der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz die Bucht Angra Pequena
samt einer Umgebung von jeweils 5 Meilen für 100 Pfund und 200 Gewehre
erworben hatte, war auch er nicht in ein geschichtsloses Land gekommen.
Eine Urbevölkerung von Buschmännern war ab 1550 von einwandernden Stämmen
einer afrikanischen Völkerwanderung überlagert worden. Namas waren aus
der nördlichen Kapprovinz und aus Botswana eingewandert, von Norden
kommende Hereros hatten sich ab 1550 im Kaokoveld und um 1750 um Okahandja
und Gobabis angesiedelt, während die Wambos oder Ovambos zu selben Zeit
in Angola und Nordnamibia zu beiden Seiten des Kuneneflusses siedelten.
Der in der Kapprovinz entstehende Siedlungsdruck führte Anfang des 19.
Jahrhunderts zu einer weiteren kräftigen Wanderung. Nun überquerten
die Oorlam den Oranjefluss und wanderten nach Norden. Von ihnen ließen
sich 1863 als letzter Stamm die Witboi um Gibeon nieder. Der kriegerisch
erfolgreiche Oorlamstamm der „Afrikaner“ hatte sich bereits 1840 im
Gebiet des Klein-Windhuker Tals niedergelassen, nachdem er die waffentechnisch
unterlegenen Hereros nach Norden abgedrängt hatte.
Diese Eingeborenenstämme hatten eine feste Stammeskultur, ein funktionierendes
Sozialgefüge und Führungseliten. Die von Süden kommenden Oorlamstämme
konnten sich dank ihrer überlegenen Waffentechnik - bereits Gewehre
statt Pfeil und Bogen - durchsetzen. Rivalität um Weidegründe, Viehraub
und damit Kriege waren an der Tagesordnung. Friedensvereinbarungen beendeten
solche Konflikte. In diesen Auseinandersetzungen hatte Jonker Afrikaner
bis 1857 durch Unterwerfung und Bündnisse die Vorherrschaft in ganz
Zentral- und Südnamibia erlangt. In das sich fortsetzende Kräftemessen
griffen 1860 der Händler Andersson und die seit 1842 im Land tätige
Rheinische Missionsgesellschaft Partei nehmend ein. Spätestens 1870
hatten sich die Missionare, die den letzten großen Friedensschluss,
den sogen. Missionsfrieden von Okahandja vermittelt hatten, zu einer
bestimmenden politischen Kraft im Lande entwickelt. Während die Land
bebauenden Owambos des Nordens, heute mit knapp 50% als stärkste ethnische
Gruppe das politische Geschehen in Namibia dominieren, waren zur damaligen
Zeit in Zentral- und Südnamibia die Nama (Witboi) und Hereros vorherrschend.
Die Herero waren erfolgreiche Viehzüchter mit großem Herdenreichtum.
Deutsches Schutzgebiet seit 1884
Händler und Rheinische Missionsgesellschaft hatten sich ab 1870 mehr
als 10 Jahre lang bemüht, bei der deutschen Reichsregierung die Unterschutzstellung
Südwestafrikas zu erreichen. Was sie vergeblich versucht hatten, gelang
1885 durch die Initiative des Bremer Kaufmanns Adolf Lüderitz. Der lange
Zeit widerstrebende Bismarck gab nun dem Meinungsdruck einer an dem
Kolonialthema interessierten Öffentlichkeit nach und ließ am 7.8.1884
die deutsche Flagge in Lüderitzbucht hissen. Anschließend erfolgten
ebensolche Aktionen an verschiedenen Küstenstellen bis hinauf zur angolanischen
Grenze. Damit war das sogenannte Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika
etabliert. Erst 5 Jahre später kam als Kernzelle einer künftigen Schutztruppe
eine Truppeneinheit von 20 Mann unter dem Befehl von Hauptmann Curt
von Francois in Namibia an. Im Oktober 1870 besetzte dieser mit der
auf 50 Mann angewachsenen Truppe Windhuk. Erstmals wurde ohne vorangegangene
Verträge - so zweifelhaft diese auch gewesen sein mögen - Land gegen
den Anspruch Eingeborener, hier der Herero, annektiert. Der Major Theodor
Leutwein löste 1893 den Haupmann von Francois ab, wurde Gouverneur des
Schutzgebietes und schloss nach und nach mit allen Stämmen sogen. Schutzverträge.
Die Rinderseuche von 1897 und der Bau der Staatsbahn von Swakopmund
nach Windhuk
Der Bau der Staatsbahn von Swakopmund nach Windhuk, deretwegen Emil
Teuthorn hier war, hatte bereits 1897 begonnen. Allerdings wäre dieses
Projekt möglicherweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen worden,
wenn nicht ein Ereignis schrecklichen Ausmaßes diese und andere Folgen
ausgelöst hätte. Und dieses Ereignis war die katastrophale Rinderpest
des Jahres 1897, die mit 95% nahezu die gesamten Viehherden der Hereros
vernichtete und diese damit ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit und
Unabhängigkeit beraubte. Neben der traurigen Folge für die Hereros,
die nun für die Kolonialherren als Lohnarbeiter arbeiten und ihr Land
beleihen, verpfänden oder verkaufen mussten, hatte die Rinderpest den
Zusammenbruch des effektiven Transportsystem des Landes, nämlich der
Ochsenkarren, zur Folge.
Als Konsequenz bewilligte der Reichtag noch im selben Jahr die Mittel
für den Bau einer Eisenbahn von Swakopmund nach Windhuk. Die Trasse
für die Schmalspurbahn führte über 350 km mit 23 Stationen durch zum
Teil schwierigstes Gelände. Besonders der Übergang von der Küstenwüste
in das Hochland verursachte technische Probleme durch zu direkte Streckenführung,
so dass ein Reisender meinte, dies sei keine Eisenbahn, sondern eine
Rutschbahn. Nicht selten mussten die Passagiere schieben helfen. Die
Reisezeit betrug anfangs 3 Tage, später 2 Tage mit Übernachtung in Karibib,
und es wurde eine Durchschnittsgeschwindigkeit von lediglich 13,8 Km/h
erreicht.
Der Hereroaufstand von 1904
Das Jahr 1904 war von einem Ereignis ausgefüllt, das die
Siedler in Deutsch-Südwestafrika tief verunsicherte die Schutztruppe
und den Generalstab im Deutschen Reich herausforderte und deutsches
Militär und deutsche Politik mit Schuld belud, einem Ereignis, das
heute - genau 100 Jahre später - völlig anders als damals bewertet wird,
weil es auf ein geändertes Bewusstsein trifft. Es ist der Aufstand der
Hereros, dessen Bekämpfung heute nicht nur von den meisten Historikern,
sondern auch von der Öffentlichkeit überwiegend als Völkermord angesehen
wird.
Als 1911 - 5 Jahre nach dem faktischen Ende der Erhebung - die überlebenden
Hereros gezählt wurden, waren es noch 15.000. Die Schätzungen zur Hererobevölkerung
vor dem Aufstand schwanken zwischen 35.000 bis 100.000. Wenn die Realität
bei 60.000 gelegen haben sollte, wären 75% dem militärischen Vorgehen
der Schutztruppe unter General von Trotha und den anschließenden Konzentrationslagern
zum Opfer gefallen.
Der Aufstand war am 14. Januar 1904 ausgebrochen. Dem auf Verhandlungen
mit den Aufständischen setzende Gouverneur Leutwein wurde bald darauf
durch den Generalstab des Deutschen Reichs der Oberbefehl entzogen und
dem skrupellosen Generalleutnant von Trotha übertragen, der am 11. Juni
in Namibia eintraf. Als Folge der Schlacht am Waterberg am 14. August
1904 wurden das Volk der Herero in die wasserlose Omaheke, einem Teil
der Kalahari-Wüste, getrieben. Fluchtmöglichkeit gab es nur für wenige.
Ein Entrinnen durch Ergeben war wegen der Besetzung und des Unbrauchbarmachens
der Wasserstellen in Verbindung mit dem berüchtigten Befehl von Trothas
vom 2. Oktober 1904 nicht möglich. „Ich, der große General der Deutschen
[...] . Das Volk der Herero muss das Land verlassen. Wenn das Volk dies
nicht tut, werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der
deutschen Grenzen wird jeder Herero [...] erschossen. Ich nehme keine
Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder
lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero.
Der große General des mächtigen Kaisers. v. Trotha.“ [e]
Stellvertretend für die Eingeborenensicht soll das folgende Zitat stehen:
„Die Deutschen haben uns das Land genommen, ein Platz nach dem anderen
ist in ihre Hände übergegangen, und kürzlich wurde uns gesagt, dass
uns nur ein kleines Stück in der Omaheke gelassen würde. [...] ; auf
das übrige Land dürften wir unseren Fuß nicht mehr setzen.. Das konnten
wir nicht länger ertragen; es ist ja doch unser Land! Dann haben uns
die Händler unser Vieh geraubt durch List oder unehrlichen Handel. Das
wollten wir auch nicht länger dulden. Und endlich sind viele von unseren
Leuten von den Deutschen misshandelt und getötet worden, und wir sahen
kein gerechtes Gericht.“
[f]
©Peter Teuthorn, 16.8.2004
Literatur
Bittorf, Susanne: Wieczorek-Zeul entschuldigt sich bei Herero für
Gäueltaten, Ministerin sagt in Namibia bei Gedenkfeier an Schlacht
am Waterberg weitere Hilfen der Bundesregierung zu, Süddeutsche Zeitung
vom 16.8.2004.
Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft
in Namibia von 1904-1913, Frankfurt a.M. / London 2003.
Silvester, Jeremy and Gewald, Jean-Bart: Words cannot be found, German
Colonial Rule in Mamibia, An annotated reprint of the 1918 Blue Book,
Brill Leiden Boston 2003.
Zimmerer, Jürgen & Zeller, Joachim (Hrsg.).: Völkermord in Deutsch-Südwestafrika,
der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen., Berlin 2003.
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[a] Krüger, Gesine: Das goldene Zeitalter der Viehzüchter,
Namibia im 19. Jahrhundert, in Zimmerer/Zeller (Hrsg.): Vökermord
in Deutsch-Südwestafrika, Der Kolonialkkrieg (1904-1908) in Namibia
und seine Folgen, Berlin 2003, S. 18.
[b] ebd. S. 23.
[c] ebd. S. 21.
[d] ebd. S. 23-24.
[e] Andreas Heinrich Bühler: Der Namaaufstand gegen
die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia von 1904-1913, S. 134.
[f] zitiert nach Michel Vesper: Überleben in Namibia.
Homelands und kapitalistisches Weltsystem, Bonn 1983, S. 81, in Andreas
Heinrich Bühler: Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft
in Namibia von 1904-1913, S. 115.
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Süddeutsche Zeitung
27./28. Okt. 2007, Arne Perras
Große Gesten auf der Straße
der Helden, Die deutsche Familie von Trotha versucht ein schweres
Erbe zu schultern: den Völkermord an den namibischen Herero.
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Elf Frauen und Männer aus dem Familienverband der von Trothas
besuchten im Oktober 2007 den Erinnerungsort. Am Ahnengrab der
Mahareros reichten sich der Vorsitzende des Familienverbandes,
Wolf-Thilo von Trotha, und Chief Alfons Maharero die Hand zur
Versöhnungsgeste. Beide sind Großneffen der damaligen
Truppenführer, des deutschen Generals Lothar von Trotha und
des Herero-Anführers Samuel Maharero.
Aus dem Besuch der deutschen Entwicklungshilfeministerin vom August
2004 wird die damals angkündigte Zahlung eines Betrages von
20 Millionen Euro als Versöhnungsinitiative zitiert. "Das
war gut gemeint, kam aber bei vielen schlecht an. 'Sie hat das
Geld einfach so hingeworfen, ohne mit uns vorher zu reden', sagt
ein Herero verbittert."
Politik ist ein schwieriges und, wie man hier wieder sieht, auch
undankbares Geschäft. Wieczorek-Zeul konnte bei ihrer heiklen
Mission doch wohl die namibische Regierung nicht übergehen.
Ich hatte schon im voranstehenden Artikel darauf hingewiesen,
dass die Herero nur 7% der namibischen Bevölkerung ausmachen
und kaum in der von den Ovambos dominierten Regierung vertreten
sind. Offensichtlich werden ihre Interessen heute im eigenen Land
nicht angemessen vertreten. Doch auch die Hereros selbst sind
wie in den alten Zeiten gespalten. Alfons Maharero spricht nicht
für alle Hereros. Ein anderer Stammesführer, Chief Kuiama
Riruako, ist nicht versöhnungsbereit.
PT
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Weitere Links zu Namibia:
Aussschiffen auf der Reede von Swakopmund
- Südwester in Greifswald - DSWA-Tagebuch
(pdf-Datei mit Passwort) - Emil
Teuthorn / eine biographische Skizze (Passwort)
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