Das Arbeitsfeld der Chirurgen |
Die Abgrenzung der Tätigkeiten der Bader und der Barbiere aus der Literatur ist nicht einfach. Offensichtlich gab es Überschneidungen, regionale Unterschiede, vor allem zwischen dem Süden und Norden des Reiches, und den Tatbestand, dass die Badestuben ab dem 17. Jahrhundert aus Hygiene-/Seuchengründen (Syphilis, Pest) und Moralansichten der Kirche allmählich verschwanden.
Es scheint mir aber schlüssig, wenn Wolfgang Michel die mittelalterliche
Badestube als Keimzelle der Tätigkeit des Barbierchirurgen beschreibt:
„Die Bäder wurden in geheizten Räumen genommen, einzeln oder in Gesellschaft.
[...] wenn der ermattete Gast sich ausruhte, schnitt man eingewachsene
Nägel aus, entfernte Hühneraugen, öffnete Abszesse, zog faule Zähne, setzte
Schröpfköpfe oder nahm zur Anregung des Kreislaufs einen Aderlaß vor.
In diesen Häusern arbeiteten Gehilfen, welche als Barbiere die Bärte scherten,
rasierten und schröpften. Mit der Zeit wurden sie den Badern eine gefährliche
Konkurrenz, und rissen die niedere Chirurgie weitgehend an sich. In Kriegszeiten
wurden sie dann als Feldscherer oder Feldscher unentbehrlich.“
[1]
In demselben Aufsatz wird die Leipziger „Bader Innungs Articul“ von 1627
zitiert. Der Abschnitt über „Examen und Fragestücke der Bader“ soll sich
in der neuen Satzung der Meister der "zur Leipzigischen Haupt=Lade
gehörigen Bader und Wundärzte" von 1695 in fast gleichem Wortlaut
finden. Ich übernehme das Zitat hier, weil damit im Originalton der Zeit
die Kerntätigkeiten des Chirurgenhandwerks bildhaft werden:
"Examen und Fragstücke der Bader Vom Haupt Von der Hirnschal Von der Dura und Pia Mater Von Halß und Brust Von Bauch undt Weit Wunden [Weidwunden] Von Achßell undt Hüfften Von Arm und Bein Von verrenckten und verstauchten Gliedernn, Von zerbrochen gliedern Vonn Geschoßenen Gliedern. Von Geschnittenen Gliedern. Von verwundten glenckenn Von offenen erzunten undt geschwollenen Schäden Von Tödtlichen Wunden Von Bluttstellung [,] wundt träncklein undt Pulver leschungen Von Aderlaßen Von Sÿmptomen und Zufallen Von allerley gefehrlichen gebrechen und Schäden Von Kraffts [,] Wirckung und Eigenschafft der Pflaster Von Praeparierung undt Zurichtung der Pflaster Von Auff= und Zurichtung der Werckstätte" [2]
Obwohl Bader und Wundärzte (=Chirurgen) in Leipzig offensichtlich immer
noch gemeinsam in einer Zunft organisiert waren
[3] , suchten die Barbierchirurgen die Bader von den beschriebenen
Tätigkeiten zu verdrängen, was ihnen auch gelang..
Oliver Bergmeier gibt für eine spätere Zeit u.a. eine Kurzdarstellung
eines ärztlichen Handbuchs, an der der Stand der praktischen Chirurgie
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gut demonstriert werden kann.
Es ist W.D. Bräutigam: Practisches Hand- und Hülfsbüchlein der niederen
Chirurgie für Lehrlinge und Gehülfen [4] .
Da sich das Arbeitsfeld des Chirurgen in gebotener Kürze bereits aus den
Überschriften der Buchkapitel erschließt, zähle ich diese in der Folge
einfach auf:
Von den Blutauslehrungen (Verschiedene Techniken des Aderlasses)
Ueber die Clystiere
Bildung künstlicher Geschwüre ( Zu Heilzwecken geeignete „noch wenig erklärliche“
Therapie.)
Die rothmachenden Ableitungsmittel
Reinigen und Herausziehen der Zähne
Von der Entzündung (Inflammatio)
Von den Warzen
Von den Hühneraugen, Krähenaugen und dem Leichendorn
Von den Verrenkungen
Die Verstauchung, Verdrehung
Von den Beinbrüchen, Knochenbrüchen
Scheintod (Asphyxia) und Reanimationsmaßnahmen
Rasiermesser; Ausfallen sowie Grauwerden der Haare
Übrigens gab es eine Reihe weiterer Fachliteratur für den Chirurgen. Bergmeier
erwähnt für das 18. Jahrhundert einen aus der Hinterlassenschaft würtembergischer
Chirurgen aufgestellten Katalog, in dem sich etwa 90 verschiedene Werke
finden, übrigens auch solche über Innere Medizin und Pharmazie, also den
Bereichen, die für Chirurgen ja eigentlich tabu waren.
Wenn wir heute das Tätigkeitsfeld eines Chirurgen bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts verstehen wollen, gelingt das nur, wenn wir uns ein Gesamtbild
ärztlicher Kunst dieser Zeit machen. Eine sehr gelungene Internet-Darstellung
zu dieser Thematik wurde durch die Universität Wien anlässlich der Sonderausstellung
2002, 7. Juni bis 31. Oktober 2002 „Des Probstes heilkundlicher Schatz
- Medizin im Spiegel der Diözesanbibliothek St.Pölten“ gestaltet. Das
Kapitel „Der Arzt und andere Heilkundige“ stellt die akademischen Heilkundigen,
nämlich Scholare, Bakkalare, Lizentiaten und Doktoren, den nichtakademischen
handwerklichen Heilberufen, also den Chirurgen, Badern, Augenärzten,
Zahnärzten, Franzosenärzten (Geschlechtskrankheiten), Bruch- und Steinschneidern
gegenüber. [5]
Kapitel 2 von Chirurgen & Barbiere (Peter Teuthorn August 2003)
Der gesamte Artikel ist als pdf-Datei verfügbar. |
[1] Michel, Fehlgriffe, S. 105.
[2] ders. S. 106.
[3] so auch in Frankenhausen
[4] W.D. Bräutigam: Practisches Hand-
und Hülfsbüchlein der niederen Chirurgie für Lehrlinge und Gehülfen,
Weimar 1850, 2. von Franz Wilhelm Otto Händel [prakt. Arzt und Wundarzt]
bearbeitete Auflage.
[5] http://www.univie.ac.at/sozialgeschichte-medizin/propst/ besucht 3..8.2003.
Home · Impressum · Seitenanfang · Peter Teuthorn © 2006