Ein Blick in die Volkszählungsunterlagen des Jahres 1803 für Kiel

In den gut 160 Jahren zwischen dem ersten Amtsbrief der Kieler Barbiere und Chirurgen von 1638 bis Anfang des 18. Jahrhunderts war deren Berufsituation natürlich nicht statisch. Neben den üblichen Abgrenzungsstreitigkeiten zu den anderen Heilberufen wird es vor allem auch um Spezialisierung, also die Auffächerung des bisherigen Berufsbildes in mehrere neue gegangen sein. Als Ergebnis solcher Entwicklung war ja in Preußen 1811 die Trennung der Chirurgie vom dortigen Barbiergewerbe angeordnet worden. In Frankenhausen wurde 1836 das Friseur- vom Chirurgenhandwerk  abgespalten. So ist anzunehmen, dass sich auch in

Holstein, und damit in Kiel, solche Trennung bereits vor dem Anschluss an Preußen, also vor 1864 ereignet hat.

Diese Vermutung bestätigen die Ergebnisse der Volkszählung von 1803, die schon für den Anfang des Jahrhunderts ein viel stärker differenziertes Bild geben, als ich es aufgrund der Literatur und der mir verfügbaren Quellen bisher vermuten konnte. Im Folgenden stütze ich mich auf Abfragen aus der Datenbank  der Dansk Demografisk Database (
http://ddd.dda.dk) [1] .


Die Volkszählung geht von den Haushalten aus und macht Wohnadressen in der Stadt und damit regionale Verteilung, Haushaltszusammensetzung, verwandtschaftliche Beziehungen und Alter, vor allem aber auch die damaligen Berufe sichtbar. Nun wurden die Berufe allerdings nicht in genormter Form, etwa nach einer Art Katalog, aufgeschrieben, sondern so, wie  sie der Befragte angab. Danach bleibt in manchen Fällen offen, welcher Tätigkeit er tatsächlich nachging oder ob der Beruf aus Altersgründen überhaupt noch ausgeübt wurde. Für eine Auswertung musste ich deshalb aus den aufgeschriebenen Berufsangaben Kategorien bilden. Als letztes Arbeitsalter habe ich 65 Jahre angenommen. Auch bin ich davon ausgegangen, dass bereits alle Daten für Kiel erfasst sind.

Ein Blick in den Datenbestand ergibt ein recht anschauliches Bild vom Berufsfeld und -umfeld der Chirurgen & Barbiere. Diese Anschaulichkeit wird noch gesteigert, wenn man entweder die städtische Topographie Kiels vor Augen hat oder sie sich mittels der   Geschichte der Stadt Kiel
[2] vor Augen führt. Ihr liegt die übliche Stadteinteilung in vier Quartiere zu Grunde, wobei das 1. Quartier, das sogenannte Kuhbergviertel, sozusagen als „Neustadt“ außerhalb der inselförmigen Kernstadt lag. Es bot die einzige Ausdehnungsmöglichkeit für die wachsende Bevölkerung (1803 = 7075 [3] ),  so dass Anfang des Jahrhunderts bereits etwa 50% der Stadtbevölkerung dort wohnten. Das 3. Quartier war mit der Schlossnähe auch das vornehmste, was auch in der Großzügigkeit mancher Wohnhäuser zum Ausdruck kam. Das II. (nördlich der Holstenstraße) und das benachbarte IV. Viertel (südlich der Holstenstraße zum Hafen gelegen) waren in dieser Hinsicht ärmlicher.

Im Frühjahr 1803 gab es in Kiel zwei Praktische Ärzte, vier Chirurgen, vier Barbiere, aber auch acht Friseure und vier Perückenmacher. Nur bei den Chirurgen fand ich Lehrburschen. Die Versorgung mit Medikamenten wurde von zwei Apothekern sicher gestellt.
Im Dienste von Stadt und Universität standen  ein Physikus, ein Ratschirurg sowie zwei Professoren (Anatomie & Chirurgie, Arzneimittel). Ein Lizentiat der Medizin und Chirurgie war Inspektor des städtischen Krankenhauses. Drei Chirurgen für das Heer (Kompanie- und Escadrons-Chirurgus) lebten nicht etwa im I. Quartier, wo gleich südlich neben der Kleinen Kuhbergstraße der Exerzierplatz lag, sondern im Kerngebiet der Stadt. Geheimrat von Blome, der in einem aufwändigen  Stadthaus im III. Quartier wohnte, leistete sich mit dem 26-jährigen Paulsen einen eigenen Hausarzt. Außerdem sind ein Doctorand und 11  Medizinstudenten erfasst, nur 2 davon ausdrücklich als Studenten der Medizin und Chirurgie.

Zu den 8 Friseuren und 4 Perückenmachern gibt es keine Hinweise, ob sie als Meister oder Gesellen tätig waren. Offensichtlich bildeten sie aber keine Lehrlinge aus. (Siehe auch Frankenhausen).


Der Chirurg Nicolaus Nagel (*1765) lebte 1803 in der Schuhmacherstraße 57 im 4. Quartier und hatte zwei Lehrburschen. Sein Schwiegersohn, der Amtschirurg Wilhelm Günther Teuthorn (*1807) eröffnete seinen Laden 1835 möglicherweise im nahegelegenen II. Quartier, in der Faulstr. 48. Denn unter dieser Adresse ist für das Jahr 1880 noch sein Sohn, der Barbier Wilhelm Friedrich Otto (*1836), nachgewiesen.

Hinsichtlich der Verteilung der Berufe über das Stadtgebiet  fällt auf, dass obrigkeits- und universitätsnahe Personen vorwiegend im I. Quartier wohnten. Das ausgewogenste Bild gibt das schlossnahe III. Quartier, wo Apotheker, Praktischer Arzt, 2 Chirurgen, 4 Friseure und 1 Perückenmacher wirkten und wo auch die Stadthebamme (gleichzeitig Schneidermeisterin) zu Hause war (siehe Anhang III).



Kapitel 6 von Chirurgen & Barbiere (Peter Teuthorn August 2003)


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[1] Die Originale der Volkszählungen 1803 für Holstein, Lauenburg und den deutschen Teil von Schleswig befinden sich im Landesarcchiv Schleswig. Siehe auch
Bogs, Holger ; Gehrmann, Rolf [Hrsg]: Einwohnerbuch der Stadt Kiel 1803. Kiel 1993 (Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins 2).

[2] Geschichte der Stadt Kiel, S. 151-162.

[3] ders. S.159.

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