Das Chirurgenamt in den Familien Nagel, Sibbern, Teuthorn

 

Die Geschichte der Kieler Teuthorns beginnt mit der Auswanderung Wilhelm Günther Teuthorns im Jahr 1836 aus der Salzstadt Frankenhausen im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt (heutiges Thüringen) nach Kiel in Holstein, damals Königreich Dänemark. Genau genommen ist es die Geschichte der Familie TEUTHORN - NAGEL. Denn durch die Heirat mit Louise Nagel erweitert sich der bisher durch Thüringen geprägte Familienhintergrund um das schleswig-holsteinische und das dänische Element. Wie meine ich das?

Das wirtschaftliche und soziale Umfeld der Teuthorns in der Salzstadt Frankenhausen war vom 18. bis in das 19. Jahrhundert hinein geprägt durch Sölden [1] und Grundbesitz, Seifensiederhandwerk und obrigkeitliche Aufgaben. Philipp Andreas Teuthorn (1734-1792) war Seifensieder, Brau- und Pfannherr. Sein Onkel August Wilhelm (+1735) war Bornherr gewesen. Sein Vetter Johann Andreas stand als Kammerrat im Dienste des „Finanzministeriums“ im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt. Sein jüngster Sohn, Günther Heinrich Teuthorn  (1788-1849) war letzter Bürgermeister in Frankenhausen aus der Familie Teuthorn.

Der älteste Sohn von Philipp Andreas, Christoph Wilhelm (1772-1839), wiederum Seifensieder, war mit der Tochter des Ratskämmerers Johann Caspar Hauthal verheiratet. Alle  Familienmitglieder hatten mit den Komponenten Salz, Handwerk und Amt eine Tradition fortgesetzt, in die bereits der Stammvater Joachim Teuthorn (* ca.1530) hineingeboren worden war.

Die nun folgenden beiden Söhne des Christoph Wilhelm, nämlich Johann Christian David (*1795) und Wilhelm Günther (1807-1881) ergriffen erstmals völlig traditionsfremde, nämlich medizinische Berufe. Der ältere Bruder studierte in Leipzig Medizin und wurde zunächst wohl praktischer Arzt in Frankenhausen, der jüngere erlernte das Chirurgiehandwerk. Seine Lehrzeit [2] fiel in die weiter oben beschriebene Umbruchsphase der Frankenhäuser Barbier- und Chirurgen-Innung, die dort wohl eindeutig den Niedergang dieses Gewerbes bedeutete.

Das also war der Familienhintergrund des Wilhelm Günther Teuthorn  als er 1836 Kieler Bürger wurde.

Die Familie Nagel war in landsmannschaftlicher Hinsicht durch die nordelbische Landschaft, einen Schuss Dänemark und das Chirurgenamt geprägt.
Nicolaus Nagel war aus seinem Heimatort Dammmfleth/Wilster ausgewandert, einer Gemeinde rechts des Unterlaufs der Elbe in der Nähe Glückstadts, hatte in Kiel das Chirurgenhandwerk erlernt, war 1790 nach Segeberg gekommen, wo er die Tochter Dorothea des dortigen Amtsmeisters der Chirurgie- und Barbierzunft, Friedrich Sibbers, heiratete.

Bereits dort Amtsmeister, ging er zurück nach Kiel, wo er sich nach dem Tod seiner ersten Frau in 2.Ehe mit der Dänin Charlotta Marie Flug verheiratete. Seinen Sohn aus der Ehe mit Marie Flug, Jens Otto Nagel, ließ er Medizin studieren. Seine Tochter Louise heiratete den Amtschirurgen Wilhelm Günther Teuthorn.

Achtung! Jetzt wird es kompliziert! Seine Enkelin, also die Tochter des Dr. med. Jens Otto Nagel heiratete den Sohn des Wilhelm Günther Teuthorn, Wilhelm Friedrich Otto Teuthorn, der wiederum Barbier wurde. Für Genealogen ist dies ein Beispiel für Ahnenschwund! Denn eine solche Kusinen-Kusinehe hat ja zur Folge, dass - in diesem Fall Wilhelm Friedrich Otto Teuthorn und Henriette Wilhelmine Fanny Nagel - dieselben Großeltern bzw. ein und denselben Großvater (Nicolaus Nagel) und ein und dieselbe Großmutter (Charlotta Marie Flug) hatten. Anders ausgedrückt sind W.F. Ottos Großeltern mütterlicherseits identisch mit Fannys Großeltern väterlicherseits.

Die Geschichte des ökonomisch-sozialen Umfelds der Barbierzunft in der Familie Teuthorn-Nagel ist eigentlich noch komplexer.

Sie beginnt - nach den mir bisher zugänglichen Daten und Informationen - mit Friedrich Sibbers, Enkel des Neuendorf-Glückstädter Pfarrers Nicolaus Sibbern (um 1650-1712), der 1735 seine Lehre im Glückstädter Barbieramt beendete und später Amtsmeister in Segeberg wurde. Als Nicolaus Nagel nach seiner Lehre in Kiel nach Segeberg kam, war Sibbers bereits verstorben, aber seine Tochter Dorothea - 10 Jahre älter als Nagel - wartete auf eine standesgemäße Ehemöglichkeit. Als Tochter des verstorbenen Amtsmeisters Sibbers  hatte sie das Recht, vor Ort die Barbierstube ihres Vaters weiterzuführen. Nicolaus Nagel, auf der Suche nach einer Niederlassungsmöglichkeit, war der geeignete „Geschäfts-“ und Heiratspartner!
Das hier geschilderte Ereignis aus der Familiengeschichte verläuft nach dem in der Geschichte der Stadt Kiel festgestellten Schema: „Nach mehrjähriger Wanderschaft konnte ein Geselle beim Amt die Zulassung als selbständiger Meister beantragen. Das Verfahren wurde erleichtert [...] wenn er eine Meisterwitwe oder -tochter heiratete. Das war ein Teil zünftiger Daseinsvorsorge.“ [3]

Wann und warum Nicolaus Nagel Segeberg dann verließ und nach Kiel, dem Ort seiner Lehrzeit, zurückkehrte,  ist nicht bekannt.
1803 - als die mit der Volkszählung Beauftragten die Haushaltsdaten der Kieler Bürger aufnahmen, lebte er in  der Schuhmacherstr. 57 zusammen mit seiner Frau, Sohn aus erster Ehe und 2 Lehrburschen [4] . Der Beruf seines Sohnes aus erster Ehe ist nicht bekannt. Es wäre allerdings nicht wunderlich, wenn er - direkt beim Vater - ebenfalls das Chirurgenhandwerk erlernt hätte. Wir finden ihn später in Christiana, dem heutigen Oslo, wieder. Seinen zweiten Sohn, Jens Otto, lässt Nicolaus Nagel studieren! Wahrscheinlich hatte er den Umbruch des Berufsbildes des Chirurgen, Wund- und praktischen Arztes vom Handwerksberuf zum Studienberuf vorausgesehen bzw. Schlussfolgerungen aus der Entwicklung in der Chirurgie gezogen.

Allerdings erhielt Jens Otto - so ist zu vermuten - als fertiger Arzt keine Niederlassungsmöglichkeit in Kiel, sondern musste als Landarzt [5] nach Leck gehen, um dort zur ärztlichen Versorgung der Landbevölkerung beizutragen. Sein Alterskollege und Schwager, der „Chirurgen-Handwerker“ Wilhelm Günther Teuthorn, war allerdings etwa zur selben Zeit als Amtschirurg in die Kieler Handwerkerzunft aufgenommen worden [6] . Was dessen Sohn Wilhelm Friedrich Otto betraf, so ließ er ihn nicht den zukunftsorientierten Arztberuf studieren, sondern seine Barbierstube übernehmen. Aus der Rückschau lässt sich  nicht beurteilen, ob es tatsächlich mangelnde Einschätzung der Zukunft des Barbier-/ Chirurgengewerbes war, F. W. Otto nicht für ein Studium geeignet war oder die Mittel nicht vorhanden waren, ihn statt des Barbierberufes den akademischen Arztberuf ergreifen zu lassen.

Manches des vorher Gesagten bleibt natürlich spekulative Schlussfolgerung. Was allerdings feststeht ist, dass Holstein 1864 preußisch wurde und im administrativ modernen preußischen Staat bereits seit 12 Jahren, nämlich seit 1852 die preußische Gewerbeordnung galt. Diese hatte nicht nur die Trennung von Chirurgen- und Barbieramt zur Folge, sondern die Ablösung des Handwerkschirurgen durch den so titulierten „Praktischen Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ (siehe S. 3).




Ausblick

Die neugierige Frage nach dem aus der Stadt meiner Vorfahren, Frankenhausen, nach Kiel ausgewanderten Chirurgen Wilhelm Günther Teuthorn eröffnete den Blick auf die Zunft der Chirurgen und Barbiere. Der Fortschritt in der Medizin und die Effektivität der preußischen Verwaltung führte Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Wandel des Chirurgenberufes, der auch Folgen für den sozialen Status in der Gesellschaft hatte. Die Kinder des Kieler Barbiers F.W. Otto Teuthorn sahen in dem Beruf ihrer Großväter und des Urgroßvaters Nagel keine Zukunft mehr. Während ihre Familie Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Chirurgenberuf  nicht nur wirtschaftliches Auskommen sondern auch soziale Sicherheit gehabt hatte, suchte und fand die jüngste Generation ihre Zukunft außerhalb Deutschlands. In der Familie Teuthorn blieb die Chirurgie damit eine Episode.


©Peter Teuthorn , 10. August 2003

(Kapitel 7 und Schluss von Chirurgen & Barbiere)


Dank: Mein Dank gilt Jens Kirchhoff, ohne dessen genealogische Forschungen zur Familie Sibbern aus Glückstadt ich wohl nicht auf den wichtigen Aufsatz von Hans Heinrich Köster zum Protokollbuch des Segeberger Barbieramts gestoßen wäre.


Der gesamte Artikel ist als pdf-Datei verfügbar.

 

[1] Salzsiedestelle

[2] Es kann wohl nur so sein, dass die Lehre in Frankenhausen erfolgte, obwohl dies noch nicht belegt ist. / Natürlich ist auch nicht auszuschließen, dass er medizinische Vorlesungen besuchte oder aber wenigstens eine umfangreiche Schulbildung genossen hatte, denn als er Meister in Kiel wurde, war er bereits 29 Jahre alt. Andernfalls hätte er eine ungewöhnlich lange Gesellenzeit gehabt.

[3] Geschichte der Stadt Kiel, S. 97.

[4] Census 1803

[5] Jens Otto Nagel wird in einem Dokument auch als Armenarzt bezeichnet. Wurde er vielleicht sogar von der Gemeinde für seine Dienste bezahlt?

[6] Hier hatte sich das aus Segeberg bekannte Muster, zugewanderter Handwerker heiratet Tochter eines Zunftmeisters, offensichtlich wiederholt. Denn Wilhelm Günther Teuthorn heiratete die Tochter des Amtschirurgen Nagel.

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