Die landständische Verfassung von Schwarzburg-Rudolstadt von 1816 bis 1848 und die Repräsentanten der Unterherrschaft Frankenhausen, ergänzt durch ein "historical abstract"

Wie der Parlamentarismus in Deutschland begann, mag aus der heutigen Sicht befremden. Unser gewohnter Blickpunkt ist ja die hoch ausgebildetete, uns im Übermaß selbstverständliche republikanische Demokratie. Und doch sollte uns der Blick zurück und ein Vergleichen zwischen gestriger Unmündigkeit und heute erreichter Perfektion, die zur Zeit leider überall von viel Politikverdrossenheit begleitet wird, doch wohl hinsichtlich des seit damals Erreichten nachdenklich stimmen.

In der Tat handelte es sich bei den fünf Landtagen, die zwischen 1821 und 1845 im  thüringischen Kleinstaat Schwarzburg-Rudolstadt zusammentraten, um die Fortsetzung einer Ständeversammlung[1a], nunmehr allerdings in „verfasster“ und gewählt repräsentativer Form. Ein solcher Landtag konnte damit selbstverständlich noch nicht das Verlangen breiter Volksschichten nach mehr Entscheidungsbeteiligung, Meinungs- und Pressefreiheit, Bildungsautonomie u.a.m. vertreten oder voranbringen. Vor allem waren damit natürlich die Anliegen der unterpriviligierten Schichten nicht vertreten. Dies ist aus der nachher folgenden Zusammensetzung der Abgeordneten leicht zu erkennen. Aber auch ohne derartige Vorstellungen ist für uns Heutige schwer nachvollziehbar, dass es nicht einmal einen Landtagspräsidenten oder Versammlungsleiter aus eigenen Reihen gab, die Beratungen nicht öffentlich waren, ein Recht zu Gesetzesinitiativen fehlte, keine Redeprotokolle angefertigt wurden u.v.m.

Und wie begann das alles? Mit dem Artikel XIII der Deutschen Bundesakte von 1815. Dieser verpflichtete die Mitglieder des Deutschen Bundes in ihren Staaten landständische Verfassungen „stattfinden“ zu lassen.

25 Jahre nach der die Welt verändernden französischen Revolution und direkt nach der Niederlage Napoleons bei Waterloo hatte der Wiener Kongress 1814/1815 ein restauratives Europa begründet, das zu alten Autoritäten zurückkehren, diese aber in einem Gleichgewicht der Kräfte ausbalancieren wollte. Das so installierte Metternich´sche System wollte aber darüber hinaus in den deutschen Staaten vor allem revolutionäre Gefahren und „demokratische Umtriebe“ verhindern. Der Deutsche Bund mit Bundesversammlung/Bundestag trat nun an die Stelle des 1806 untergegangenen Alten Reiches. -
Der erwähnte und viel zitierte Artikel der Bundesakte verpflichtete die Bundesstaaten zwar dazu, landständische Verfassungen einzuführen, aber was wie demokratischer Fortschritt aussah, war seitens Östereichs und Preußens - die ja fast 60 % der Bevölkerung des Deutschen Bundes ausmachten [1b] - im Grunde dazu gedacht, das "dritte Deutschland" der übrigen Territorien wenn nötig über Eingriffsrechte des Bundes zu disziplinieren[1c]. Vor allem sollte jegliche Gewährung unerwünschter Freiheiten in Bezug auf Zensur, Presse, Bildung und Vereins- und Parteienbildung verhindert werden.

Auch die in Schwarzburg-Rudolstadt gewählten Landtagsabgeordneten hätten natürlich die Wünsche breiter Volksschichten aufgrund der ihnen eingeräumten engen Rechte nicht vertreten können. Auch darf bezweifelt werden, dass sich diese Repräsentanten aufgrund ihrer eigenen Herkunft (siehe Tabellen!) in die Stimmung aller Bevölkerungsschichten hineinfühlen konnten. Nach der französischen Juli-Revolution von 1830 hatten sich diese bereits vielfältig geäußert, um sich dann in der März-Revolution von 1848 endgültig zu artikulieren. 

 

Zwei Mitglieder der Familie Teuthorn lebten und wirkten in diesen Jahren in Frankenhausen, und es wäre reizvoll, etwas über ihre politischen Ansichten zu wissen. Der ältere, Günther Heinrich Philipp (1788-1849), war der letzte Bürgermeister Frankenhausens in einer langen Familientradition. In der 4. Wahlperiode des Schwarzburg-Rudolstädter Landtags von 1839 bis 1844 vertrat er als dessen Mitglied den städtischen Wahlbezirk der Unterherrschaft Frankenhausen. Sein nur 7 Jahre jüngerer Neffe Johann Christian David (*1795) war nach Studium in Leipzig praktischer Arzt in Frankenhausen. Überraschender Weise wanderte er im Frühjahr 1848, also im reifen Alter von 53 Jahren, zusammen mit seinem 27jährigen Sohn, einem Ökonom, nach Amerika aus.

Wie sah nun aber diese landständische Verfassung konkret aus?

Für das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt wurde sie zwar bereits am 8. Januar 1816 unterzeichnet, allerdings wurde sie nach Jochen Lengemann [2] erst mit dem Landtagsabschied vom 21. April 1821 zur Vollverfassung für das Fürstentum [3] . Der erste Landtag wurde aber erst im Februar 1821 gewählt und kam am 9.4.1821 zu seiner ersten Plenarsitzung zusammen. Bis zu dem Außerordentlichen Landtag des Revolutionsjahres 1848 gab es 5 Wahlperioden.

Nach Ziffer 1 dieser ersten Verfassung repräsentierte der zu wählende Landtag das Volk des Fürstentums, und er hatte das Recht, „über alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche die persönlichen und Eigenthumsrechte der Staatsbürger mit Einschluß der Besteuerung betreffen“ [4] , zu beraten. Die insgesamt 15 Abgeordneten des Landtages repräsentierten zu gleichen Teilen drei Stände, nämlich a) die Rittergutsbesitzer, b) die Einwohner der Städte und c) die „mit Landeigentum angesessenen Untertanen, die weder städtische Bürger noch Rittergutsbesitzer waren.“ Je vier Vertreter pro Stand wurden für die Oberherrschaft Rudolstadt, je einer  für die Unterherrschaft Frankenhausen jeweils indirekt und auf 6 Jahre gewählt.

Der Wahlkreis der mit Landeigentum angesessenen Untertanen für die Unterherrschaft umfasste die Orte Altstadt Frankenhausen, Borxleben, Esperstedt, Göllingen, Günserode, Ichstedt, Immenrode, Mehrstedt, Ringleben, Rottleben, Schlotheim, Seega, Seehausen, Straußberg, (Stein-)Thaleben, und Udersleben.[5]

Wahlkreis: Stadtbürgertum Frankenhausens [6]

 Wahlperiode

   

1821-1826

Garthoff, Bernhard Ludwig

Studium der Theologie, Gastgeber in Frankenhausen

1827-1832

Garthoff, Traugott Anton

Seifensieder, Brau- und Pfannherr, Unterbürgermeister 1827

1833-1838

Hornung, Heinrich August Friedemann

Wollhändler en gros, Stadtältester

1839-1844

Teuthorn, Günter Heinrich Philipp

Seifensiedermeister, Viermann, Bürgermeister bis 1849

1845-1848

Schartow, Johann Carl Gottlieb

Kammerkommissär, Stadtältester, Bürgermeister 1849-51


Wahlkreis: Landeigentümer der Unterherrschaft

Wahlperiode

     

1

Ußlepp, Johann Michael

Esperstedt

Anspänner, Kirchenvorsteher und Gerichtsschöppe

2

Raue, Johann David Andreas

Thaleben

Kantor, Organist und Mühlenbesitzer

3

Wolf, Johann Ernst

Ringleben

Anspänner, Kantor und Knaben-Schullehrer

4

Hankel, Wilhelm Leonhard

Ringleben

Anspänner u. Kaufmann, Schultheiß

5

Koch, Johann Heinrich Christian

Rottleben

Ökonom, zeitweise Pächter des Dithmarschen Ritterguts in Rottleben


Wahlkreis: Rittergutsbesitzer der Unterhherrschaft

Wahlperiode

   

1

Dittmar, Friedrich August

Herr auf Rottleben

2

von Hopffgarten, Maximilian Albrecht Ernst

Erb-, Lehn- und Gerichtsherr auf Schlotheim. Mehrstedt und Marolterode

3

Meyer, Johann Carl Friedr. Heinr.

Herr auf Ichstedt

4

von Hopffgarten, Maximilian Friedrich Ernst

Herr auf Schlotheim und Marolterode

5

Frantz, Johann August

Kaufmann in Frankenhausen und Rittergutsbesitzer in Rottleben

Nur zwei der Rittergutsbesitzer waren also adelig. Die anderen waren reiche Bürger.

Man muss sich von der Vorstellung frei machen, dass der Landtag regelmäßig tagte. Ein Beispiel: Der 1838/1839 gewählte Landtag kam am 16.9.1839 zu seiner ersten Plenarsitzung zusammen und hatte bis einschließlich 15.10.1839 insgesamt 20 Plenarsitzungen. Mit dieser letzten ging man auseinander und traf sich nie wieder in dieser Zusammensetzung. Allerdings hatte man aus den 15 Landtagsabgeordneten 5 Landtagsausschüsse mit jeweils 3 Mitgliedern  aus allen Ständen gebildet, die während der fünf  Folgejahre 1840-44 nacheinander den Landtag vertraten. Sie waren berechtigt, all dem zuzustimmen, was während der ersten Plenarsitzungen beschlossen worden war, und hatten nur bei abweichenden bzw. neuen Themen den Landtag einzuberufen. Das kam bis auf eine Ausnahme nie vor. - Den Vorsitz des Landtages führte ein vom Fürsten berufener landesfürstlicher Kommissar, in der geschilderten Periode der Minister von Witzleben, wichtigstes Regierungsmitglied, sozusagen Premierminister im Fürstentum. Beiträge wurden durch einen Sekretär zusammengestellt, Ergebnisse durch eine fürstliche Verlautbarung in der Rudolstädter Zeitung und im Frankenhäuser Intelligenzblatt abgedruckt.

Nach knapp 60 Jahren Unterbrechung und Verwerfungen der Parlamentstätigkeit wirkt der Thüringische Landtag seit der Wiedervereinigung unseres Landes als modernes Landesparlament. Die hier beschriebene Vertretung des "Volkes" von Schwarzburg-Rudolstadt ist Teil der Geschichte des thüringischen Parlamentarismus. An diesen Anfängen hatte als Vertreter Frankenhausens auch ein Mitglied unserer Familie Anteil.

©Peter Teuthorn, September 2004 / 2. Fassung



Mein Dank gilt Werner Krugenberg, Esperstedt. Erst sein Hinweis auf das hier benutzte Buch von Jochen Lengemann war Anstoß, mich mit dem vorstehenden Thema zu befassen.


Abstract

Pronouncing the ideals of liberté, egalité and fraternité the French revolution of 1789 had finished with the old ruling classes (Ständegesellschaft). In consequence the relation between the people and the state in all Europe changed decisively. But transformation from absolute government to a constitutional one did not come to effect immediately by revolutionary actions but by a slower process of evolution. This process could not begin earlier than 1814 when predominance of Napoleonial France was defeated at Waterloo. This was the moment when in the middle of Europe the German states - among them Prussia and Austria - tried to revitalize political power and balance for the future epoch. Their first step was to form the German Union (Deutscher Bund). Article XIII of the Union´s principles (Bundesakte) obliged the about 38 states to introduce constitutions within their territories for those assemblys of nobility, land owners and city deputies (landständische Versammlung), which also in the past had irregularly met in order to decide on granting taxes for the state expenses of their nobel rulers. Now they had won the right to discuss all items concerning personal rights and rights of property including taxes. The biggest difference to former representations was their legitimation by election.

One of these states, one of the smallest indeed, was the Thuringian dukedom of Schwarzburg-Rudolstadt. The first meeting periods of the new representative assemblys (Landtage) took place between 1821 and 1848. The three parties of land owning nobility, other landowners and the cities had 5 representatives each (total 15), who were in charge for 6 years.

 

Elected representative of Frankenhausen in the 4th legislative period from 1839-1844 was the town´s mayor Günther Heinrich Philipp Teuthorn (1788-1849). He was the last mayor of Frankenhausen to come from the Teuthorn family, ending a long family tradition.

Allthough the ideal of egalité, i.e. equal rights to every one without regarding his social level and fiscal strength, was still not achieved at the very beginning, this was nevertheless the beginning of parliamentary exercise in Germany and we may state, that - with the mayor of Frankenhausen - one of the Teuthorn relatives was part of it.



[1a] Siehe hierzu (Prof. Dr.) Winfried Schulze: Die Frühe Neuzeit als Epoche, Skript zur Vorlesung an der Ludwig-Maximilian-Universität München im SS 2004, S. 70: "Entscheidender Unterschied zwischen den alten landständischen Versammlungen und den neuen Standesversammlungen der frühkonstitutionellen Zeit war vor allem die Tatsache, dass die Landstandschaft im alten System prinzipiell vom Besitz eines landschaftlichen Guts abhängig war, wenn man einmal von der Sonderstellung der Landstädte oder der später hinzukommenden Universitäten absieht. Für die Ständeversammlung der frühkonstitutionellen Periode war die - wenn auch von einem Zensus abhängige - Wahl dagegen entscheidend."
[1b] Siemann, Wolfram: Vom Staatenbund zum Nationalstaat, Deutschland 1806-1871, München 1995, S. 323.
[1c] Siehe auch Siemann, S. 317.
[2] Lengemann, Jochen: Landtag und Gebietsvertretung von Schwarzburg-Rudolstadt 1821-1923, Jena Stuttgart 1994, S.26.
[3] Diese Verfassung bestand bis zum nachrevolutionären Grundgesetz von 1854, das die bisherige Verfassung ablöste.
[4] zitiert nach Lengemann S. 26.
[5] Lengemann S. 277: Die Wahlkreise 1821-1848.
[6] Daten entnommen von Lengemann S. 131-273, Biographien.


Siehe auch kurze biographische Skizze
 

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