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Drei Jahrhunderte an den Schaltstellen der Stadt
Man kann davon ausgehen, dass die Familie Teuthorn die Geschicke der
Stadt Frankenhausen seit frühester Zeit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
als Ratsfamilie entscheidend mitgestaltet hat. Für den Zeitraum der drei
Jahrhunderte von 1550 bis 1850 sind die Kirchenbücher, Stadtratslisten
und eine Reihe überlieferter Dokumente hierfür aufschlussreiche Zeugen.
Für das letzte der genannten Jahrhunderte sind auch die Zeitungen, vor
allem das Frankenhäuser Intelligenzblatt, eine spannende Quelle.
Im 18. Jahrhundert ist ihre Präsenz im Rat der Stadt zwar eine Zeit
lang unterbrochen, aber dafür nimmt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
ein Familienmitglied in der Finanzabteilung der Schwarzburg-Rudolstädter
Regierung in Frankenhausen sogar landesherrschaftliche Aufgaben wahr.
Verschwägerung der Ratsfamilien
Auch in Jahren, in denen Teuthorns kein Amt bekleideten, blieben sie doch
Angehörige einer ratsfähigen Familie [i] . Außerdem waren zumindest Onkel
oder Vettern in den Ämtern der Stadtherrschaft. Die Teuthorn-Familie war
vor allem mit den Fischers, Löhners, Siebolds, Erfurts und Hauthals verschwägert.
Aber auch zu Schmelzer, Schall und Seuberlich gab es familiäre Bande [ii] .
Wer das heute liest, assoziiert doch sofort das abfällige Wort Vetternwirtschaft!
Die mit diesem Begriff verbundene Empörung, wäre allerdings in der Ständegesellschaft
der Frühen Neuzeit nicht verstanden worden. Der Wert eines weitgefassten
Verwandtschafts- und Freundschaftsbegriffs, der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft
eines großen gemeinsamen Familienverbandes, ersetzte vielmehr die heutigen
sozialen Sicherungssysteme. Er war damit eine Grundform sozialer Existenz
quer durch alle Stände. Vermittlung von Heiraten und Arbeitsmöglichkeiten,
Familienstiftungen, um Familienangehörigen ein Studium zu ermöglichen [iii] sowie Hilfe für
jüngere Mitglieder des Familienverbandes gehörten ganz selbstverständlich
zu diesem Protektionssystem. Wer sich nicht oder nicht mehr auf dieses
System stützen konnte hatte Probleme. Deshalb die häufige und schnelle
Wiederverheiratung der Witwen, die auch innerhalb der Ratsfamilien beobachtet
werden kann. [iv]
Vorbildung
Wie bereitete man sich eigentlich auf die Aufgaben des Stadtrates vor?
Reichte das Wissen eines Handwerksmeisters oder waren auch akademische
Kenntnisse gefordert?
Teuthorns sind an den Universitäten Wittenberg, Leipzig, Jena und Erfurt
nachgewiesen. In deren Matrikeln habe ich bisher für den Zeitraum 1512
bis 1755 schon knapp 20 Familienangehörige aufspüren können. Insgesamt
dürften sich also deutlich mehr Namensträger durch akademische Studien
der Theologie, Philosophie und Jurisprudenz auf Berufe als Lehrer, Pfarrer,
Amtmänner [v]
und Juristen vorbereitet haben.
Von den Teuthorns, die in Frankenhausen Ratsämter ausübten,
habe ich für den späteren Ratskämmerer Peter Teuthorn (1562-1634)
zwei Eintragungen gefunden. Die erste führt uns zur Universität
Wittenberg. Im Album Academiae Vitebergensis (II159a,34.) findet sich
der Eintrag "Petrus Deuthorn Frankenhusanus 5. Mai 1569". Es
war eine Eigenart der Zeit, dass entweder aus Prestigegründen oder
um eine Anwartschaft auf einen Studienplatz zu begründen, bereits
Kinder immatrikuliert wurden. Im Jahr 1580, also nun 18 Jahre alt, studierte
er in Erfurt, wo er zusammen mit Johann Thölde und weiteren 22 Studenten
für die classis secunda eingetragen war[IX].
Aus dem Datenmaterial der Familie Teuthorn kann für weitere Ratsmitglieder
ein Studium vermutet aber noch nicht detalliert nachgewiesen werden. -
Wenn man sich die jüngeren Matrikel der Universität Leipzig der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts und um die anschließende Jahrhundertwende
ansieht, erscheinen unter den Studenten aus Frankenhausen neben Teuthorn
auch die Namen der Ratsfamilien Erfurt, Fischer, Leuckart, Landgraf (Landgravius),
Scharffenbergk und Siebold (Siboldt). Aus den vorstehenden Beobachtungen
scheint in Verbindung mit der Liste der Amtsinhaber deshalb die Schlussfolgerung
erlaubt, dass eine akademische Vorbereitung für Ratsaufgaben erwünscht
und auch praktiziert, aber nicht etwa grundsätzliche Voraussetzung
für die Amtsausübung war.
Soziale Ordnung in einer ständischen Gesellschaft
Bürgermeister und Ratskämmerer, das bedeutet Verantwortung als
Stadtoberhaupt und für die städtischen Finanzen. Aber ist damit auch für
uns Heutige wirklich alles klar, oder entsteht ein falsches Bild?
Die Worte sind heute noch dieselben wie damals, aber das Bild, das sie in unserer heutigen Vorstellungskraft auslösen, weicht vom Sinn und Inhalt, den sie in den vergangenen Jahrhunderten hatten, ab. Die Menschen, mit denen wir uns hier beschäftigen lebten in einer vordemokratischen, ständischen Gesellschaft, in der die Zugehörigkeit zu Adel, Bürgerschaft oder Bauernstand nur die gröbste Orientierung innerhalb der „Gott gewollten“ harmonischen Ordnung waren. Nicht jeder, der in den Mauern der Stadt - auch nicht in denen der Stadt Frankenhausen - lebte, war Bürger, und wiederum nicht jedem Bürger stand es zu, als Ratsmitglied die Stadt zu regieren oder etwa durch die Gesamtheit der Bürger in ein Ratsamt gewählt zu werden. Denn auch in den Stand der ratsfähigen Bürgerschaft wurde man hineingeboren.
Aufstieg aus einem Stand heraus war möglich, aber extrem schwierig, also an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, der Abstieg auf der „sozialen Leiter“ gefürchtet. Unstandesgemäße Ehen, unstandesgemäßes, d.h. der Standesehre nicht entsprechendes Verhalten und immer auch - aber häufig zuletzt - wirtschaftliche Schwierigkeiten, waren die Probleme mit deren Beherrschung oder Nichtbewältigung die Befürchtungen sozialen Abstiegs Wirklichkeit werden konnten.
Neben diesen Feinheiten sozialer Mobilität, wohl auch, um eine solche
nach oben hin zu ermöglichen und nach unten hin zu vermeiden, war die
regionale Mobilität viel stärker ausgeprägt, als wir es uns heute vorstellen,
ja als wir heute überhaupt selbst dazu bereit sind. Aus der Stadt fortzugehen,
den Machtbereich des Landesfürsten zu verlassen, Auswanderung also, hatte
nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern war auch ein Mittel, den sozialen
Status zu halten, Abstieg zu vermeiden und dafür Chancen an anderen Orten
wahrzunehmen. Auswanderung nach Amerika ab Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts
hatte gerade für die vom Umbruch dieser Zeit betroffenen Stadtbürger auch
solche Gründe.
Teuthorns aus Frankenhausen haben diese Mobilität zu allen Zeiten bewiesen.
So waren Familienmitglieder nicht nur in der Frankenhäuser Nachbarschaft
bis Eisleben, Pegau und Leipzig aktiv, sondern gingen auch nach Hannover,
Fehmarn, Hessen und bereits 1848 nach Boston.
Rotation im Stadtrat
Zurück zum Sinn der Worte und Begriffe. Es gab seit alters drei Räte oder
Ratsgruppen, die einander in der Regierung der Stadt ablösten. In den
ältesten schriftlich überlieferten Statuen der Stadt Frankenhausen vom
Jahre 1534 heißt es im ersten Buch unter
III. Von der rethe ampten
Nachdem der wohlgeborener vnser freundlicher lieber bruder, Herre Gonther etc. von wegen der herrschaft (d.h. aus landesherrlicher Macht) drei räthe gesaczt vnd bestettigt, so bestettigen wir die auch vnd wollen, das itzlichs jars zweie burgermeistere mit zweien kemrern vnd vier rathscompan, welchen das die ordenunge gibt, sitzen sollen, vns vnd vnserer stadt vnd der bürger besten nutz schaffen, bei ihren getanen eiden.
Das System der drei Räte und ihre Rotation ist also älter als die Statuten von 1534. Das regierende sogenannte „sitzende“ Ratsdrittel wurde nach Ablauf des Amtsjahres, das immer zu Michaelis, dem 29. September, begann, zum „abgehenden Rat“. Das bisher „ruhende“ Ratsdrittel übernahm die Regierungsgeschäfte des neuen Amtsjahres und wurde damit „sitzender Rat“. Abgehender und ruhender Rat blieben aber Stadträte, und zwar in der Regel bis zu ihrem Tode. Bei wichtigen Anlässen beriet sich der gesamte Rat. Beim Ausscheiden aus dem Rat, also in der Regel nach Absterben eines Ratsmitglieds, ergänzte sich der Rat durch Zuwahl eines neuen Amtsträgers durch Benennung und Wahl aus den ratsfähigen Familien, durch sogenannte Kooption. Diese bedurfte aber der Bestätigung durch den regierenden Fürsten.
IV. Binnen vierczehen tagen sal die zal der raths personen widder ergentzt werden
Vnd so einer nach dem willen gotes in seinem ampte abginge, ader sonsten abe bitten (d.h. um seine Entlassung bitten würde) wurde, an des stadt sal in den nechstuolgen vierczehen tagen von allen dreien räthen ein anderer angezeiget vnd von vns bestettiget werden.
Beginn der Statuten der Stadt Frankenhausen von 1558 (Kreisheimat-Museum Bad Frankenhausen) |
Ein Dokument für das Zusammenspiel von Ratsgewalt und Fürstenmacht ist die Vorrede zu den Stadt-Statuten von 1558 [vi] . Zugleich werden die damaligen sechs Bürgermeister namentlich angesprochen:
„Wir Günther und Hanß Günther, Grafen zu Schwarzburg, Herrn zu Arnstadt, [...] bekennen und thun kund, daß uns die Ehrsamen Weisen, unsere lieben Getreuen Nicolaus Klaussen, Christoph Knaue, M. Jacob Dillenberg, Stephan Teuthorn, Hartung Stockhausen und Jacob Kuße, Burgermeistere in unserer Stadt Franckenhausen, samt allen anderen verordneten Raths-Personen, und dem Aeltesten aus der Gemeinde daselbst, unterthänig berichtet haben, wie ihre Vorfahren und sie vor dieser Zeit mit Willkühr [Amtsmacht] und Statuten von unserm lieben Herrn Vater [...] begnadiget [gnädig ausgestattet] und versehen:..“
Und dann geht es im Folgenden um die Anpassung der Statuten von 1534
an eine neue Zeit.
Wie dieses theoretische Modell der sechs Bürgermeister in der Praxis
funktionierte, soll an einem konkreten Beispiel deutlich werden. Insbesondere
für die Jahre von 1650 bis 1720 wird durch die für diese Zeit lückenlosen
Ratslisten [vii] das Phänomen der Ausübung von
Stadtherrschaft durch eigene und verwandte Familien sehr anschaulich illustriert.
So springen wir also von den Statuten von 1558 hundert Jahre in die Zukunft.
Jacob Teuthorn Ratskämmerer und Bürgermeister
von 1674-1710 / 36 Jahre Ratsamt
Wie wir bereits gesehen haben, war das Bürgermeisteramt jeweils
mit zwei Ratspersonen besetzt. Das Gleiche galt für die Funktion des
Kämmerers. Ich beziehe mich auf die Funktion des Geld- oder Rentkämmerers.
Denn es gab unter den vier Ratskumpanen auch Mühl- und Schenkkämmerer.
Diese Funktionen konnten der des Geldkämmerers im Sinne einer Karrierefolge
vorangehen.
Der Kaufmann und Tuchmacher JACOB TEUTHORN jr. (*1632 +1713), Sohn des
Ratskämmerers Jacob Teuthorn (*1587 +1637) und Enkel des Ratskämmerers
Peter Teuthorn (*1562 +1634) wurde 1674 im Alter von 42 Jahren erstmals
Ratskämmerer. Er übte dieses Amt zusammen mit seinem entfernten Verwandten
Melchior Fischer [viii]
aus, bis dieser 1684 in das Bürgermeisteramt wechselte. Die
nächsten vier Perioden der Jahre 1683, 1686, 1689 und 1692 setzte er mit
seinem neuen Partner Caspar Andreas Weinbergk fort bis er innerhalb der
letzten Amtszeit - offensichtlich wegen des Todes des Bürgermeisters Caspar
Wilhelm Schmelzer - in das Amt des Bürgermeisters berufen wurde, das er
nun bis zur Amtsperiode 1710, also insgesamt siebenmal ausübte. Dabei
war sein Partner ab 1701 Caspar Wilhelm Fischer. Da J. Teuthorn 1713 starb,
wurde die damit vakante Bürgermeisterstelle ab diesem Jahr mit Martin
Ritter besetzt. Jacobs letzte Amtsperiode fiel damit in sein 78. Lebensjahr.
Jacobs Mutter war im übrigen eine geborene Siebold, seine Frau eine geborene
Erfurt, deren Vater, Just Erfurt, bis 1663 ebenfalls Ratskämmerer gewesen
war.
Ausblick auf eine neue Zeit
Diese Einzelheiten sollen ausreichen, den Wechsel der Ratsfunktion, Perioden
und Dauer der Amtsausübung sowie die Verschwägerung innerhalb der Ratsfamilien
zu veranschaulichen. Zwar sind die Amtsdaten für die dargestellte Zeitspanne
besonders lückenlos dokumentiert, aber es ließe sich auch eine detailreiche
Schilderung der Ausübung von Rats- und Regierungsaufgaben über Jacobs
Sohn, Enkel, Urenkel bis zu Kammerrath Johann Andreas´ Neffen Günther
Heinrich Philipp Teuthorn zusammenstellen, die aber hier zu weit führen
würde. Erst mit dem Tode dieses letzten Bürgermeisters aus der Teuthorn-Familie
im Jahre 1837 endet die beschriebene Zeit. Bereits während seiner Amtszeit
haben sich allerdings politische Veränderungen angekündigt, die mit dem
Jahre 1848 dann allmählich in eine demokratischere Zeit überleiten.
Die weitere Geschichte der Teuthorns wird von nun an außerhalb Frankenhausens
geschrieben. Die Schauplätze wechseln im wesentlichen nach Schleswig-Holstein
und den Vereinigten Staaten von Amerika.
© November 2003 Peter Teuthorn
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