Familien-Linien

 

Eine Ratsfamilie in Frankenhausen

Drei Jahrhunderte an den Schaltstellen der Stadt
Verschwägerung der Ratsfamilien
Vorbildung.
Soziale Ordnung in einer ständischen Gesellschaft
Rotation im Stadtrat
Jacob Teuthorn Ratskämmerer und Bürgermeister von 1674 -1710 - 36 Jahre Ratsamt -
Ausblick auf eine neue Zeit


Drei Jahrhunderte an den Schaltstellen der Stadt
Man kann davon ausgehen, dass die Familie Teuthorn die Geschicke der Stadt Frankenhausen seit frühester Zeit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts als Ratsfamilie entscheidend mitgestaltet hat. Für den Zeitraum der drei Jahrhunderte von 1550 bis 1850 sind die Kirchenbücher, Stadtratslisten und eine Reihe überlieferter Dokumente hierfür aufschlussreiche Zeugen. Für das letzte der genannten Jahrhunderte sind auch die Zeitungen, vor allem das Frankenhäuser Intelligenzblatt, eine spannende Quelle.

Im 18. Jahrhundert  ist ihre Präsenz im Rat der Stadt zwar eine Zeit lang unterbrochen, aber dafür nimmt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Familienmitglied in der Finanzabteilung der Schwarzburg-Rudolstädter Regierung in Frankenhausen sogar landesherrschaftliche Aufgaben wahr.

Verschwägerung der Ratsfamilien
Auch in Jahren, in denen Teuthorns kein Amt bekleideten, blieben sie doch Angehörige einer ratsfähigen Familie [i] . Außerdem waren zumindest Onkel oder Vettern in den Ämtern der Stadtherrschaft. Die Teuthorn-Familie war vor allem mit den Fischers, Löhners, Siebolds, Erfurts und Hauthals verschwägert. Aber auch zu Schmelzer, Schall und Seuberlich gab es familiäre Bande [ii] .

Wer das heute liest, assoziiert doch sofort das abfällige Wort Vetternwirtschaft! Die mit diesem  Begriff  verbundene Empörung, wäre allerdings in der Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit nicht verstanden worden. Der Wert eines weitgefassten Verwandtschafts- und Freundschaftsbegriffs, der Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft eines großen gemeinsamen Familienverbandes, ersetzte vielmehr die heutigen sozialen Sicherungssysteme. Er war damit eine Grundform sozialer Existenz quer durch alle Stände. Vermittlung von Heiraten und Arbeitsmöglichkeiten, Familienstiftungen, um Familienangehörigen ein Studium zu ermöglichen [iii] sowie Hilfe für jüngere Mitglieder des Familienverbandes gehörten ganz selbstverständlich zu diesem Protektionssystem. Wer sich nicht oder nicht mehr auf dieses System stützen konnte hatte Probleme. Deshalb die häufige und schnelle Wiederverheiratung der Witwen, die auch innerhalb der Ratsfamilien beobachtet werden kann. [iv]


Vorbildung
Wie bereitete man sich eigentlich auf die Aufgaben des Stadtrates vor? Reichte das Wissen eines  Handwerksmeisters oder waren auch akademische Kenntnisse gefordert?

Teuthorns sind an den Universitäten Wittenberg, Leipzig, Jena und Erfurt nachgewiesen. In deren Matrikeln habe ich bisher für den Zeitraum 1512 bis 1755 schon knapp 20 Familienangehörige aufspüren können. Insgesamt dürften sich also deutlich mehr Namensträger durch akademische Studien der Theologie, Philosophie und Jurisprudenz auf Berufe als Lehrer, Pfarrer, Amtmänner [v] und Juristen vorbereitet haben.

Von den Teuthorns, die in Frankenhausen Ratsämter ausübten, habe ich für den späteren Ratskämmerer Peter Teuthorn (1562-1634) zwei Eintragungen gefunden. Die erste führt uns zur Universität Wittenberg. Im Album Academiae Vitebergensis (II159a,34.) findet sich der Eintrag "Petrus Deuthorn Frankenhusanus 5. Mai 1569". Es war eine Eigenart der Zeit, dass entweder aus Prestigegründen oder um eine Anwartschaft auf einen Studienplatz zu begründen, bereits Kinder immatrikuliert wurden. Im Jahr 1580, also nun 18 Jahre alt, studierte er in Erfurt, wo er zusammen mit Johann Thölde und weiteren 22 Studenten für die classis secunda eingetragen war[IX].

Aus dem Datenmaterial der Familie Teuthorn kann für weitere Ratsmitglieder ein Studium vermutet aber noch nicht detalliert nachgewiesen werden. - Wenn man sich die jüngeren Matrikel der Universität Leipzig der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und um die anschließende Jahrhundertwende ansieht, erscheinen unter den Studenten aus Frankenhausen neben Teuthorn auch die Namen der Ratsfamilien Erfurt, Fischer, Leuckart, Landgraf (Landgravius), Scharffenbergk und Siebold (Siboldt). Aus den vorstehenden Beobachtungen scheint in Verbindung mit der Liste der Amtsinhaber deshalb die Schlussfolgerung erlaubt, dass eine akademische Vorbereitung für Ratsaufgaben erwünscht und auch praktiziert, aber nicht etwa grundsätzliche Voraussetzung für die Amtsausübung war.

Soziale Ordnung in einer ständischen Gesellschaft
Bürgermeister und Ratskämmerer, das bedeutet Verantwortung als Stadtoberhaupt und für die städtischen Finanzen. Aber ist damit auch für uns Heutige wirklich alles klar, oder entsteht ein falsches Bild?

Die Worte sind heute noch dieselben wie damals, aber das Bild, das sie in unserer heutigen Vorstellungskraft auslösen, weicht vom Sinn und Inhalt, den sie in den vergangenen Jahrhunderten hatten, ab. Die Menschen, mit denen wir uns hier beschäftigen lebten in einer vordemokratischen, ständischen Gesellschaft, in der die Zugehörigkeit zu Adel, Bürgerschaft oder Bauernstand nur die gröbste Orientierung innerhalb der „Gott gewollten“ harmonischen Ordnung waren. Nicht jeder, der in den Mauern der Stadt - auch nicht in denen der Stadt Frankenhausen - lebte, war Bürger, und wiederum nicht jedem Bürger stand es zu, als Ratsmitglied die Stadt zu regieren oder etwa durch die Gesamtheit der Bürger in ein Ratsamt gewählt zu werden. Denn auch in den Stand der ratsfähigen Bürgerschaft wurde man hineingeboren.

Aufstieg aus einem Stand heraus war möglich, aber extrem schwierig, also an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, der Abstieg auf der „sozialen Leiter“ gefürchtet. Unstandesgemäße Ehen, unstandesgemäßes, d.h. der Standesehre nicht entsprechendes Verhalten und immer auch - aber häufig  zuletzt -  wirtschaftliche Schwierigkeiten, waren die Probleme mit deren Beherrschung oder Nichtbewältigung die Befürchtungen sozialen Abstiegs Wirklichkeit werden konnten.

Neben diesen Feinheiten sozialer Mobilität, wohl auch, um eine solche nach oben hin zu ermöglichen und nach unten hin zu vermeiden, war die regionale Mobilität viel stärker ausgeprägt, als wir es uns heute vorstellen, ja als wir heute überhaupt selbst dazu bereit sind. Aus der Stadt fortzugehen, den Machtbereich des Landesfürsten zu verlassen, Auswanderung also, hatte nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern war auch ein Mittel, den sozialen Status zu halten, Abstieg zu vermeiden und dafür Chancen an anderen Orten wahrzunehmen. Auswanderung nach Amerika ab Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts hatte gerade für die vom Umbruch dieser Zeit betroffenen Stadtbürger auch solche Gründe.

Teuthorns aus Frankenhausen haben diese Mobilität zu allen Zeiten bewiesen. So waren Familienmitglieder nicht nur in der  Frankenhäuser Nachbarschaft bis Eisleben, Pegau und Leipzig aktiv, sondern gingen auch nach Hannover, Fehmarn, Hessen und bereits 1848 nach Boston.

Rotation im Stadtrat
Zurück zum Sinn der Worte und Begriffe. Es gab seit alters drei Räte oder Ratsgruppen, die einander in der Regierung der Stadt ablösten. In den ältesten schriftlich überlieferten Statuen der Stadt Frankenhausen vom Jahre 1534 heißt es im ersten Buch unter

III. Von der rethe ampten

Nachdem der wohlgeborener vnser freundlicher lieber bruder, Herre Gonther etc. von wegen der herrschaft (d.h. aus landesherrlicher Macht) drei räthe gesaczt vnd bestettigt, so bestettigen wir die auch vnd wollen, das itzlichs jars zweie burgermeistere mit zweien kemrern vnd vier rathscompan, welchen das die ordenunge gibt, sitzen sollen, vns vnd vnserer stadt vnd der bürger besten nutz schaffen, bei ihren getanen eiden.

Das System der drei Räte und ihre Rotation ist also älter als die Statuten von 1534. Das regierende sogenannte „sitzende“ Ratsdrittel wurde nach Ablauf des Amtsjahres, das immer zu Michaelis, dem 29. September, begann, zum „abgehenden Rat“. Das bisher „ruhende“ Ratsdrittel übernahm die Regierungsgeschäfte des neuen Amtsjahres und wurde damit „sitzender Rat“. Abgehender und ruhender Rat blieben aber Stadträte, und zwar in der Regel bis zu ihrem Tode. Bei wichtigen Anlässen beriet sich der gesamte Rat. Beim Ausscheiden aus dem Rat, also in der Regel nach Absterben eines Ratsmitglieds, ergänzte sich der Rat durch Zuwahl eines neuen Amtsträgers durch Benennung und Wahl aus den ratsfähigen Familien, durch sogenannte Kooption. Diese bedurfte aber der Bestätigung durch den regierenden Fürsten.

IV. Binnen vierczehen tagen sal die zal der raths personen widder ergentzt werden

Vnd so einer nach dem willen gotes in seinem ampte abginge, ader sonsten abe bitten (d.h. um seine Entlassung bitten würde) wurde, an des stadt sal in den nechstuolgen vierczehen tagen von allen dreien räthen ein anderer angezeiget vnd von vns bestettiget werden.

 

Beginn der Statuten der Stadt Frankenhausen von 1558 (Kreisheimat-Museum Bad Frankenhausen)

Ein Dokument für das  Zusammenspiel von Ratsgewalt und  Fürstenmacht ist die Vorrede zu den Stadt-Statuten von 1558 [vi] . Zugleich werden die damaligen sechs Bürgermeister namentlich angesprochen:

„Wir Günther und Hanß Günther, Grafen zu Schwarzburg, Herrn zu Arnstadt, [...] bekennen und thun kund, daß uns die Ehrsamen Weisen, unsere lieben Getreuen Nicolaus Klaussen, Christoph Knaue, M. Jacob Dillenberg, Stephan Teuthorn, Hartung Stockhausen und Jacob Kuße, Burgermeistere in unserer Stadt Franckenhausen, samt allen anderen verordneten Raths-Personen, und dem Aeltesten aus der Gemeinde daselbst, unterthänig berichtet haben, wie ihre Vorfahren und sie vor dieser Zeit mit Willkühr [Amtsmacht] und Statuten von unserm lieben Herrn Vater [...] begnadiget [gnädig ausgestattet] und versehen:..“


Und dann geht es im Folgenden um die Anpassung der Statuten von 1534  an eine neue Zeit.

Wie dieses theoretische Modell der sechs Bürgermeister in der Praxis funktionierte, soll an einem konkreten Beispiel deutlich werden. Insbesondere für die Jahre von 1650 bis 1720 wird durch die für diese Zeit lückenlosen Ratslisten [vii] das Phänomen der Ausübung von Stadtherrschaft durch eigene und verwandte Familien sehr anschaulich illustriert. So springen wir also von den Statuten von 1558 hundert Jahre in die Zukunft.

Jacob Teuthorn Ratskämmerer und Bürgermeister von 1674-1710 / 36 Jahre Ratsamt
Wie wir bereits gesehen haben, war das Bürgermeisteramt jeweils mit zwei Ratspersonen besetzt.  Das Gleiche galt für die Funktion des Kämmerers. Ich beziehe mich auf die Funktion des Geld- oder Rentkämmerers. Denn es gab unter den vier Ratskumpanen  auch Mühl- und Schenkkämmerer. Diese Funktionen konnten der des Geldkämmerers im Sinne einer Karrierefolge vorangehen.

Der Kaufmann und Tuchmacher JACOB TEUTHORN jr. (*1632 +1713), Sohn des Ratskämmerers Jacob Teuthorn (*1587 +1637) und Enkel des Ratskämmerers Peter Teuthorn (*1562 +1634) wurde 1674 im Alter von 42 Jahren erstmals Ratskämmerer.  Er übte dieses Amt zusammen mit seinem entfernten Verwandten Melchior Fischer [viii] aus, bis dieser 1684 in das Bürgermeisteramt wechselte. Die nächsten vier Perioden der Jahre 1683, 1686, 1689 und 1692 setzte er mit seinem neuen Partner Caspar Andreas Weinbergk fort bis er innerhalb der letzten Amtszeit - offensichtlich wegen des Todes des Bürgermeisters Caspar Wilhelm Schmelzer - in das Amt des Bürgermeisters berufen wurde, das er nun bis zur Amtsperiode 1710, also insgesamt siebenmal ausübte. Dabei war sein Partner ab 1701 Caspar Wilhelm Fischer. Da J. Teuthorn 1713 starb, wurde die damit vakante Bürgermeisterstelle ab diesem Jahr mit Martin Ritter besetzt. Jacobs letzte Amtsperiode fiel damit in sein 78. Lebensjahr. Jacobs Mutter war im übrigen eine geborene Siebold, seine Frau eine geborene Erfurt, deren Vater, Just Erfurt, bis 1663 ebenfalls Ratskämmerer gewesen war.

Ausblick auf eine neue Zeit
Diese Einzelheiten sollen ausreichen, den Wechsel der Ratsfunktion, Perioden und Dauer der Amtsausübung sowie die Verschwägerung innerhalb der Ratsfamilien zu veranschaulichen. Zwar sind die Amtsdaten für die dargestellte Zeitspanne besonders lückenlos dokumentiert, aber es ließe sich auch eine detailreiche Schilderung der Ausübung von Rats- und Regierungsaufgaben über Jacobs Sohn, Enkel, Urenkel bis zu Kammerrath Johann Andreas´ Neffen Günther Heinrich Philipp Teuthorn zusammenstellen, die aber hier zu weit führen würde. Erst mit dem Tode dieses letzten Bürgermeisters aus der Teuthorn-Familie im Jahre 1837 endet die beschriebene Zeit. Bereits während seiner Amtszeit haben sich allerdings politische Veränderungen angekündigt, die mit dem Jahre 1848 dann allmählich in eine demokratischere Zeit überleiten.

Die weitere Geschichte der Teuthorns wird von nun an außerhalb Frankenhausens geschrieben. Die Schauplätze wechseln im wesentlichen nach Schleswig-Holstein und den Vereinigten Staaten von Amerika.


© November 2003  Peter Teuthorn


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Kammerrat Johann Andreas
Frankenhausen




Bürgermeister



[i] Während systembedingter  Pausen zwischen den Regierungsjahren blieben sie natürlich als „alter“ und als „ruhender“ Rat weiterhin Ratsmitglieder.
[ii] Ernst August Anton Wippermann (Hrsg.): Stammtafeln der in der Stadt Frankenhausen größtentheils schon seit längerer Zeit heimisch gewesenen Familien  [...], Sondershausen 1843.
[iii] In diese Kategorie gehört z.B. das Teuthorn´sche Stipendium, gestiftet 1570 durch Bürgermeister Valentin Teuthorn. Zu den Stipendiaten siehe Stadtarchiv Bad Frankenhausen Sign. 1/Va-1, Gesuche um das Teuthorn´sche Stipendium (1584-1645).
[iv] Mit den vorstehenden sozialgeschichtlichen Überlegungen folge ich Ausführungen von Frau Prof. Sigrid Jahns aus der Vorlesung „Deutsche Sozialgeschichte in der Frühen Neuzeit“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München im WS 2003/04.
[v] Vorkommen in Hessen (Biedenkopf, Vöhl/Itter, Burggmünden und Kirtorf)
[vi] Kreiheimatmuseum Bad Frankenhausen
[vii] Stadtarchiv Bad Frankenhausen Sign. 1/IIA-455.
[viii] Jacobs Großvater Peter hatte in 2. Ehe Susanne Fischer geheiratet, deren Vater, vielleicht aber auch Großvater, vermutlich der ehemalige Bürgermeister Caspar Fischer gewesen war.
[IX]Immatrikulationsbuch der Universität Erfurt 1565 - 1700 ; Stadtarchiv Erfurt I-1/XB XIII-46 Band 2.


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