Aus der Stadtgeschichte


Bornfest in der alten Salzstadt Frankenhausen

Von Fritz  Brather

Strahlend blauer Himmel wölbt sich am 15. August des Jahres 1526 über der guten alten Salzstadt Frankenhausen. Alt und Jung ist auf den Beinen. Frohe Stimmung durchpulst die Bevölkerung der Stadt. Dem Tag, auf den sich die muntere Jugend, das gebresthafte Alter und sogar die grausame Einsamkeit des Siechhauses seit Wochen in jäher Ungeduld oder gleichförmigem Dahindämmern gefreut, ist ein prächtiger Morgen beschert. Vor vierzehn Tagen schon sind die förmlichen Einladungen ergangen, die die gesamte Pfännerschaft zum alttrauten Bornfest riefen. Den Salzarbeitern ist es eine liebe Arbeit gewesen, die Gegend um die Salzkunst blitzblank zu reinigen; und das Jungvolk der „Waldteufel“, der Lehrlinge, war besonders munter am Werke.

Die Uhr schlägt acht. Die Arbeiter der Salzkunst finden sich behäbigen Schrittes ein: Meister, Pfleger, Unterstecker. Respektvoll blicken die Jungen auf die gravitätischen Obermeister, denen es zusteht, im Salzgericht strenge Prüfung zu halten über die Pfleger, die nach der Meisterwürde streben. Man verlangt von ihnen, dass sie es verstehen, die Siedepfannen wohl zu bewahren, den vielerlei möglichen Schäden abzuwehren, von der Behandlung des Salzes selbst gar nicht zu reden. Bewundernd wenden sich die Blicke der Waldteufel den Meistern und Pflegern zu; wer doch auch mal wie diese die weiße Schürze tragen dürfte, die beide bei festlichen Gelegenheiten anlegen! Die festliche Stimmung beschwingt heute die Phantasie der Waldteufel, denen es sonst schon ein Glück dünkt, einstens als Unterstecker oder Holzbinder das Holz unter die Pfannen legen zu dürfen.

Das gesamte Salzgesinde lenkt die schwerfälligen Schritte zum „guten Schacht“, dessen Tiefe 52 Schuh und 4 Zoll misst. Von allen Seiten nahen sie: drüben vom Hornschacht, vom Schützschacht, vom Fünfseiler, vom Treppenschacht. Verstummt ist heute das kreischende Kettengerassel des sonst so fleißigen Paternosterwerks, das mit 5 Wasserrädern die Sole aus den Brunnenschächten hebt; und auch die Leitern die in die Tiefe der Schächte führen, haben heute geruhsamen Feiertag.

Das Salzgesinde, das in einzelnen Gruppen zusammengestanden, schart sich nun zu geschlossenem Haufen. Denn auf dem Wege zum Guten Solschacht naht bereits das Salzgericht: der gestrenge Salzzollamtmann, die 2 Salzgräfen und die beiden Bornherren, denen die Aufsicht über den Born und die Salzkunst obliegt. Ihnen folgen der Salzschreiber und der Bornschreiber. Tiefe Stille tritt ein, als sich der Zollbeamte von seiner Begleitung löst und in wohlgesetzten, von den Vorfahren übernommenen Worten das Bornfest einleitet. Nach ihm tritt der Salzschreiber vor und hebt in feierlichem Tonfall zum alten Borngebet an:

„Herr Allmächtiger Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, der du Brunnen lässt quellen und Bäche fließen, wir danken dir inniglich, dass du an diesem Ort eine Salzquelle aufspringen und so lange Jahre bis diese Stunde erhalten hast, davon der ganzen Stadt und Lande großer Nutzen zugewachsen, auch absonderlich wir durch unser Amt und Arbeit Unterhalt gefunden. Wir bitten dich demütiglich, siehe gnädiger Vater nicht an unsern Undank, Missbrauch und Verachtung, sondern lass an diesem Bornfeste unser Gebet vor deinen heiligen Thron kommen und geuss ferner deine Barmherzigkeit über diesem Brunnen aus, segne ihn mit reicher Flut, wende allen schädlichen Unfall ab, benedeie unsere Mühe und Arbeit, und lass alle, so damit redlich umgehen, deinen Segen spüren. Gib Einigkeit und gute Ratschläge über diese Werk, steure allen denen, die ihm übel wollen und verleihe deine Gnade, dass wir dieses Segens nicht zu Sünden und Eitelkeiten missbrauchen, so wollen wir dir Herr Lob sagen unser Leben lang und dich unsern Gott preisen, so lange wir hier sind.“

Die Nappenleute halten das entblößte Haupt tief gesenkt und senken es abermals um Handbreite, als ihre Stimmen sich mit der des Salzschreibers zu drei mächtigen Vaterunsern einen. Eine Pause stiller Andacht, und die Arbeiter folgen paarweise, in langem Zug, den Herren vom Salzgericht, die langsamen Schrittes den Weg zur Oberkirche aufnehmen.
Dort sitzen bereits in ihren geschnitzten Stühlen die Pfannherren, der hohen Messe gewärtig. Feierliche Gebete steigen gen Himmel. Gottes strafenden Zorn gilt es zu versöhnen. Als die Stadt zuvor mit den aufständigen Bauern gemeinsame Sache gemacht hatte, tat Gott seinen Zorn über solch frevles Tun kund. Ganz plötzlich versiegte eine der reichsten Quellen und verlor sich für immer. In abgemessenen Pulsen schallen Wechselgesänge durch die Kirche Unserer Lieben Frauen und dringen zusammen mit dem Weihrauchduft zu dem Kleinkindervolk, das neugierig auf den Kirchentreppen hockt oder unter dem Lindengezweig harmlosem Spiele huldigt. Drauf spricht der Priester den Segen über die Wachskerzen, die die Pfänner dem Altar zuneigen. Und nun künden eindringliche Glockenschläge den Schluss der Messe und damit den Beginn der Prozession. Den Zug eröffnen die Schulklassen mit ihren Lehrern; über ihren Häuptern schwanken die Fahnen, voran die Standarten der Jungfrau Maria und des heiligen Wolfgang, des gnädigen Schirmherrn des Salzwerks. Hinter den Fahnen schreitet die gesamte Priesterschaft der Stadt mitsamt dem Propste des Nonnenklosters, den Kaplänen, Vikaren und , namentlich der des heiligen Leichnams Christi. Die Pfänner haben die eben geweihten Kerzen an einem der brennenden Lichter der Kirche entzündet; ihre stattliche Zahl bildet den Kern des ansehnlichen Zuges. Diesen ihren hochmögenden Herren folgen die Salzarbeiter und viele ehrengeachtete Bürger, die den Pfännern versippt sind, oder sonst nahe stehen und dem Ehrentage des Salzwerks ihre Achtung erweisen wollen. Im Glockenturm der Frauenkirche wiegt sich die große Glocke und begleitet in feierlichem Takte die frommen Gesänge der Umziehenden, die die gesamte Salzkunst umschreitend, schließlich vor der Kapelle des heiligen Wolfgang verharren. Und abermals wird eine Messe gelesen. Dem Heiligen bringt man Opfer dar, ihm für seine milde Gabe zu  danken. Nun schließt das Salzgesinde einen Halbkreis und empfängt aus den Händen der Pfänner das ihnen seit alter Zeit gebührende Opfergeld.

Alle Kirchen der Stadt, auch die, welche außerhalb des Mauerringes liegen, nehmen pflichtschuldig teil an der Feier des Tages; auch in ihnen liest man Messe, man bringt den Heiligen der Stadt, dem heiligen Wolfgang, dem vor allen anderen des Tages Ehren gelten, aber auch St. Petrus, St. Nikolaus, St. Martin, St. Severus und der Jungfrau Maria in ehrfürchtigem Frommgefühl Gaben dar.

Die Messe in der Kapelle des heiligen Wolfgang ist beendet. Es naht ein seltsamer Zug: die Kranken der Siechhäuser und die gebrechlichen Alten, beiderlei Geschlechts, finden sich ein, ihren altgewohnten Tribut an des Festes Feier heischend. Die heute gebefreudigen Pfänner teilen ihnen Almosen aus. Der zahnlose Mund der Alten stammelt welken Dank, und die Spittelleute humpeln mühselig davon, sich des guten Tages freuend. Daheim wartet ihrer ein reicheres Mahl als sonst, und auch für einen Festtrunk hat der Pfännerschaft Güte Sorge getragen.

Festliche Freude eint heute die gesamte Stadt. Ausgelassenes Lachen und lustiges Gespräch schallen aus Fenstern und Türen der geschmückten Häuser. Bis in die späte Abendstunde hält die Festesfreude der Stadt an. Die frohe Lebenslust der leichtlebigen Bevölkerung hat alle lange Trauer ausgelöscht, die an jenem Bluttage, dem 15. Mai des vergangenen Jahres, gespensterhaft die Krallenhand auf die stückbewehrte Mauer der Stadt gelegt.

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Die obige Erzählung wurde 1925 in der Monatszeitschrift des Harzclubs, Der Harz, veröffentlicht. Ich fand das Manuskript dazu im Nachlass von Studiendirektor Fritz Brather (1880-1945). Brather war seit 1919 am Städtischen Realgymnasium Frankenhausen und von 1916 bis 1945 dessen Direktor. Der Text folgt dem Manuskript. (ThStA Rudolstadt, Nachlass Fritz Brather Nr.12)

Die Links auf dieser Seite führen zu einem von Gerhard Görmar verfassten Glossar, das die uns heute wohl kaum mehr verständlichen Begriffe aus der Salzproduktion erläutert.


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